Sinn und Unsinn von Wirtschaftswachstum
Michael Scherling am 5. Oktober 2015
Wachstum ist ein wesentliches Ziel aller modernen Ökonomien. Aber warum? Ist unser Wohlstandsniveau nicht ohnehin so hoch, dass wir auch ohne Zuwächse auskommen?
Zusätzlich lassen sich Negativbeispiele ohne Ende finden: Erdbeben erhöhen das Bruttoinlandsprodukt wegen der damit verbundenen Mehrausgaben genauso wie die Flüchtlingskrise. Konsumwahn und Umweltzerstörung sind Nebenfolgen.
Sollen wir also das Konzept des Wachstums über Bord werfen?
So einfach ist es nicht: wir sind nämlich darauf angewiesen. Viele unserer Systeme funktionieren sonst nicht mehr.
- Wie etwa sollen Staatsschulden ohne Steigerung der Wirtschaftskraft zurückgezahlt werden?
- Wenn die Gesundheitsausgaben jährlich um 5% steigen — woher soll der Mehraufwand bezahlt werden? Wollen wir auf neue Medikamente und Behandlungsmethoden verzichten?
Auch hier findet man ausreichend Beispiele, um zu verstehen, dass ohne Wirtschaftswachstum keine moderne Ökonomie funktionsfähig bleibt.
Relativ einfach ist eine Unterscheidung zwischen gutem und schlechtem Wachstum. Die gute Variante basiert auf 2 Grundlagen:
1. Produktivitätszuwachs: Menschen sind erfreulicherweise dauerhaft in der Lage, Dinge schneller und besser herzustellen. Moderne Computer sind nicht nur leistungsfähiger als früher, sondern auch billiger und werden schneller zusammengeschraubt. Neue Erfindungen und Verbesserungen erhöhen das Wirtschaftswachstum und fördern den Wohlstand. Unrecht hatte der Ökonom Thomas Malthus zu Beginn des 19. Jahrhunderts: er war überzeugt, dass die Menschen dauerhaften Hungersnöten ausgesetzt sein werden, weil die Menschheit wächst, während das verfügbare Ackerland nicht vermehrbar ist. Er hatte aber auf den Produktivitätszuwachs in der Landwirtschaft vergessen.
2. Steigerung der Weltbevölkerung: solange die Anzahl an Menschen zunimmt, kann auch mehr produziert und verkauft werden. Es gibt zwar viele negative Effekte der Überbevölkerung, sie ist aber ein wesentlicher Treiber für Wirtschaftswachstum.
Die schlechten Varianten kennen wir leider auch:
1. Krieg: Die höchsten Zuwachsraten hatten wir nach dem 2. Weltkrieg — kein Wunder, wenn alles zerstört ist, kann man leicht wachsen.
2. Schulden: Leider ist es auch möglich, kurzfristiges Wachstum durch höhere Verschuldung zu generieren. Dummerweise haben wir dieses Instrument schon so stark ausgenutzt, daß die hohen Altschulden wegen der damit verbundenen Zinszahlungen inzwischen eine Wachstumsbremse darstellen, weil Geld für sinnvolle Investitionen fehlt.
Trotzdem gilt, dass vor allem durch den Produktivitätszuwachs mehr Wohlstand entsteht, der auch dazu genutzt werden kann, die negativen Nebeneffekte wie Umweltbelastung abzumildern oder z.B. weniger oder gemeinnutzig zu arbeiten.
Fazit: Ohne Wirtschaftswachstum geht es nicht. Es führt keineswegs automatisch zu Konsumwahn und Umweltzerstörung und sollte nicht auf Schulden basieren. Dann ist es sinnvoll, nachhaltig und erhöht unseren Wohlstand.