Ein wirklicher Experte
Michael Scherling am 17. Juni 2016
Gestern hatte ich die für einen Ökonomen wie mich wunderbare Gelegenheit auf einen wirklichen Experten in Sachen Geld zu treffen:
Dr. Philipp Hildebrand — er war Präsident der Schweizer Nationalbank bis 2012
Seine Sicht der Dinge ist auch deshalb so interessant, weil er nun sehr viel offener sprechen kann als in seiner alten Position. Er hat die Schweiz durch die Finanzkrise 2008 gesteuert und war für die Einführung des Mindestkurses von 1,2 Franken zum Euro verantwortlich.
Hier einige seiner Aussagen:
- Ohne Eingreifen der Zentralbanken wäre die Finanzkrise um ein Vielfaches schlimmer ausgefallen. Ich vermute, dass kaum eine Bank überlebt hätte und auch die Sicherheit von Sparbüchern gefährdet gewesen wäre. Er meinte, dass die Menschen unendlich dankbar wären, wenn sie wüssten was ohne die Aktionen der Notenbanken passieren hätte können.
- In den USA gingen zwar rund 140 kleine Banken in Konkurs, alle große Banken wurden aber zwangsweise rekapitalisiert und stehen derzeit schon wieder auf sehr starken Beinen. In Europa trauten sich die Politiker nicht, solche Mengen an Geld bereit zu stellen. Aus diesem Grund ist der Bankensektor immer noch nicht saniert und kann nicht ausreichend Kredite an die Unternehmen vergeben. Das bremse die wirtschaftliche Entwicklung massiv.
- Spannendes zum Thema Reformen: Das spanische Arbeitsrecht stammte aus der Zeit der Diktatur Frankos (der es von Mussolini übernommen hatte). Es war für die hohe Arbeitslosigkeit verantwortlich, weil es unmöglich war, jemanden zu entlassen. Die Folge davon: es wurde gleich gar niemand eingestellt. Nur weil Spanien durch die Finanzkrise zahlungsunfähig wurde und die EU-Partner und der Internationale Währungsfonds es verlangten, kam es zu einer Reform. Seither sinkt die Arbeitslosigkeit ohne Unterbrechung. Wie schon Albert Einstein sagte: “Es ist die Krise selbst, die den Fortschritt bringt”
- Dr. Hildebrand warnt davor, Vergangenheitsentwicklungen in die Zukunft zu extrapolieren. Nur weil es mehrere Jahre mit wenig Wachstum und Nullzinsen gegeben hat, müsste das nicht immer so weitergehen. Speziell in den USA sieht er 2017/2018 höheres Wachstum, höhere Inflation und auch höhere Zinsen. Auf meine Frage, wie es in Europa möglich sein soll, bei einer stagnierenden Bevölkerung Wachstum zu erzeugen, meinte er dass eine stärkere Einbeziehung von Älteren und Frauen die Erwerbsbevölkerung steigern könnte. Reformen und Investitionen in Bildung verstärkten diesen Effekt. Flüchtlinge würden dabei auf viele Jahre nicht helfen.
- Schrecklich schaut es aus seiner Sicht in Frankreich aus, das demografisch eigentlich die beste Situation hätte (höchste Geburtenrate). Hier war die Krise nicht schlimm genug, um im Sinne Einsteins zu sinnvollen Reformen zu führen. Seit 10 Jahren wurden keine neuen Arbeitsplätze mehr geschaffen, weil der überbordende Staatssektor die Industrie fast ausgelöscht hat. Und mehr Staatsbedienstete führen nicht zu mehr Wachstum oder mehr Wohlstand, sondern nur zu mehr Schulden.
- Zum Schluss noch ein erfreulicher Punkt: Dr. Hildebrand sieht die Konjunktur in Europa auf dem richtigen Weg und erkennt selbst in Italien und Frankreich einen Anstieg der Reformbereitschaft.