Arbeitslosigkeit
Michael Scherling am 26. September 2016
Warum hat Deutschland seit vielen Jahren weniger Arbeitslose als Frankreich?
Einen der Gründe hat der Ökonom und Nobelpreisträger Jean Tirole in seinem neuen Buch mit dem Titel „Économie du Bien Commun” (oder „Wirtschaft für das Allgemeinwohl”) beschrieben.
Frankreichs historisch hohe Arbeitslosenquote ergibt sich nicht aus den ungünstigen Einflüssen der globalen Marktwirtschaft – eine weitverbreitete und praktische Erklärung von französischen Politikern –, sondern eher aus der gesellschaftlichen Entscheidung, einen sehr starren Arbeitsmarkt zu etablieren. Mit dem Bewusstsein weiter steigender Arbeitslosenzahlen beschloss die französische Regierung, flexible befristete Arbeitsverträge und viele subventionierte Jobs einzuführen, anstatt die extrem starren unbefristeten Verträge flexibler zu machen. Die Zahlen sprechen für sich: 2013 waren 85% der neuen Stellen Jobs mit befristeten Verträgen. Darüber hinaus bezogen sich 77% der gesamten Kündigungen auf befristete Verträge.
In Wirklichkeit stellt ein befristeter Vertrag weder die Arbeitnehmer noch die Arbeitgeber zufrieden. Arbeitnehmer haben dadurch kaum Kündigungsschutz. Arbeitgeber sind nicht dazu geneigt, einen befristeten Vertrag zu verlängern, da er sich sonst nach französischem Recht automatisch in einen unbefristeten Vertrag verwandelt. Deshalb plädiert Tirole für die Einführung von mehr Flexibilität bei unbefristeten Verträgen, um französische Unternehmen dazu zu bewegen, mehr Arbeitnehmer mit unbefristeten Verträgen einzustellen und somit mit „besseren Jobs” und nicht mit unsicheren, befristeten Verträgen aufzuwarten.
Das Arbeitsrecht Frankreichs umfasst mit allen Ergänzungen inzwischen mehrere tausend Seiten und ist von den Unternehmen kaum zu administrieren. Ein Beispiel für die Skurrilität der Vorschriften:
Vor Ausspruch der Kündigung muss der Arbeitnehmer zu einem Vorgespräch eingeladen werden, in dem dieser über die Absicht des Arbeitgebers informiert wird, ihn zu kündigen. In diesem Vorgespräch darf der Arbeitgeber nicht den Eindruck vermitteln, den Entschluss zur Kündigung bereits gefasst zu haben.
Fazit: wenn man es Unternehmen schwer macht, Arbeitskräfte zu kündigen, stellen sie erst gar keine ein. Das Arbeitsrecht in Frankreich (genau wie in Spanien und Italien) ist Mitverursacher der hohen Arbeitskosigkeit.