Die "wahren" Kosten eines italienischen Euro-Austritts
Michael Scherling am 10. Juli 2018
Immer öfter liest man über hunderte Milliarden Euro, die von den nördlichen Euro-Ländern über das “Target 2 — System” an die südlichen Staaten geflossen sind und im Fall eines Euro-Austritts Italiens von uns zu bezahlen seien. Allein Deutschland hätte 1.000 Milliarden an Forderungen. Politische Parteien in unserem Nachbarland machen der Bevölkerung mit diesem Thema Angst.
Was ist nun dran?
Target ist ein elektronisches System, mit dem die Zentralbanken aus dem Eurosystem grenzüberschreitende Überweisungen in der Eurozone abwickeln. Zweck: jeder soll in der Lage sein, Güter‑, Kredit- und Wertpapiergeschäfte schnell und zuverlässig in der gesamten Eurozone zu machen.
Seit 2015 kauft nun die Europäischen Zentralbank Anleihen, um die Zinsen für die Staatsschulden niedrig zu halten. Die Abwicklung erfolgt über die nationalen Zentralbanken.
Alle italienischen Anleihen werden von der Banca d’Italia erworben, aber viele Banken, die der italienischen Nationalbank Anleihen verkaufen, haben ein Bankkonto in Frankfurt. Daraus abzuleiten, dass Deutschland Forderungen gegen Italien hat, ist nicht korrekt.
Deutsche Bundesbank und österreichischen Nationalbank haben aus Target‑2 keine direkte Forderung gegen Italien!
Target-2-Forderungen bestehen nur gegenüber der Europäischen Zentralbank.
Was ist nun im Fall des Untergangs der EZB?
Nachdem diese das Monopol auf unsere Währung hat und die Forderung gegen Italien zeitlich unbefristet ist (es existiert keine Tilgungspflicht), sind viele kreative Lösungen des Problems möglich, ohne die Staatshaushalte der übrigen Länder übermäßig zu belasten.
Fazit: verlässt Italien den Euroraum, entstehen für die anderen Staaten wohl einige Kosten, aber sicher nicht hunderte Milliarden, die in den Medien zu lesen sind.
Bitcoin&Co
Michael Scherling am 13. Dezember 2017
Die Schweizer Nationalbank kauft mit künstlich gedrucktem Geld weltweit Firmenanteile auf, in Japan sind bald 50% der Staatsschuld in Händen der Zentralbank und bei uns werden Sparguthaben entwertet, weil der Zins viel geringer als die Inflationsrate ist.
In Summe spricht also Vieles gegen die Solidität unserer Währungen. Kein Wunder also, dass Kryptowährungen gefragt sind. Gepaart mit der Faszination der technologischen Neuerung Blockchain steigen die Kurse von Kryptowährungen massiv an und auch in Österreich gibt es die ersten Bitcoin-Millionäre.
Werden nun unsere Währungen spätestens nach der nächsten Finanzkrise durch Bitcoin&Co ersetzt?
Durchsetzen wird sich jedenfalls die dahinterstehende Technologie Blockchain, die z.B. sehr gut geeignet ist, um unser System des Grundbuchs kostengünstig und effizient zu ersetzen.
Eine Eignung als Währung ist allerdings weniger gegeben:
+ Vielfach wird argumentiert, dass Bitcoin nicht beliebig vermehrbar ist (wie Gold). Nachdem es aber inzwischen hunderte von Kryptowährungen gibt und nicht klar ist, welche sich durchsetzen wird (es gibt technisch bessere mit geringeren Kosten als Bitcoin), sind Kryptowährungen sehr wohl vermehrbar.
+ Die erforderliche enorme Rechnerleistung beim Erzeugen und Handeln mit Bitcoin braucht so viel Strom, dass die weltweite Energieproduktion nicht ausreicht, um einen breiten Einsatz als Währung zu ermöglichen.
+ Zentralbanken und Regierungen lassen niemals zu, dass sie das Monopol auf die Währung verlieren. Bevor Kryptowährungen zur ernstzunehmenden Alternative zu unseren Währungen werden, werden sie wohl per Gesetz verboten. In China gibt es die ersten Anzeichen dafür.
+ Im Jänner fand 80% des weitweiten Handels mit Bitcoin in China statt, im Frühling 55% in Japan. Warum? Weil reiche Chinesen die Kapitalverkehrskontrollen Chinas umgingen und Japan Bitcoin legalisierte, um diese Gelder anzulocken. Der Ruf der Kryptowährungen, ein Instrument zur Förderung illegaler Aktivitäten zu sein, scheint also nicht ungerechtfertigt zu sein.
Fazit: Der Kursverlauf von Bitcoin ist sehr ähnlich dem von Tulpen in Holland 1637. Der Anstieg war so stark, dass mit einer Blumenzwiebel ein ganzes Haus gekauft werden konnte. Nach dem Platzen der Tulpenblase sank der Kurs um über 95%. Ähnliches kann auch Bitcoin&Co passieren.
Vollgeld oder Fake-Geld?
Michael Scherling am 12. Juni 2017
Über 100.000 Schweizer Bürger sind so unzufrieden mit dem aktuellen Geld-System, dass sie vor Kurzem die “Vollgeld-Initiative” in der Schweiz unterschrieben. Das obwohl der Franken ja als die sicherste Währung der Welt gilt. Ist unser Euro also sowieso nur „Fake-Geld“?
Im Wesentlichen geht es bei der Diskussion darum, wie Geld vermehrt wird.
Man könnte annehmen, dass Banken im Rahmen einer Kreditvergabe nur die Spar-Einlagen ihrer Kunden verleihen. Tun sie aber nicht! Sie schaffen auf Knopfdruck neues Geld, indem sie es dem Kundenkonto gutschreiben. Eine beliebige Vermehrung ist also möglich!
Auch die Zentralbanken bestätigen diese Sicht. Unsere Banken haben also enormen Einfluss auf die Menge des verfügbaren Geldes. Die Vertreter der „Österreichischen Schule der Nationalökonomie“ verwiesen schon vor 100 Jahren darauf, dass dieser Zusammenhang der Hauptauslöser für Finanzkrisen ist. Ohne die fast unkontrollierte Kreditvergabe wäre eine Immobilienpreisblase in USA und Spanien erst gar nicht entstanden und damit die Ursache für die Finanzkrise 2008 (genau wie 1929) verschwunden.
Eine sinnvolle Idee müsste also sein, dass Banken 100% der Kredite als Spar-Einlagen halten müssen (=Vollgeld).
Aber: Kreditinstitute haben eine enorm wichtige Funktion: sie vergeben langfristige Gelder (z.B. Hauskredite) und nehmen als Einlage kurzfristige Gelder an (Sparbücher, Konten). Diese „Fristentransformation“ ist die wichtigste volkswirtschaftliche Funktion der Banken.
In einem Vollgeldsystem müssten viele Sparbücher auf 20 Jahre gebunden werden, um einen Hauskredit vergeben zu können. Das ist in der Praxis unmöglich.
Fazit: viele Dinge sind nicht perfekt, aber solange keine Ideal-Lösung in Sicht ist, ist es ist wohl besser, das bestehende Geld-System besser zu machen, als eine radikale Veränderung mit vielen Risiken und Nachteilen in Kauf zu nehmen.
Ein wirklicher Experte
Michael Scherling am 17. Juni 2016
Gestern hatte ich die für einen Ökonomen wie mich wunderbare Gelegenheit auf einen wirklichen Experten in Sachen Geld zu treffen:
Dr. Philipp Hildebrand — er war Präsident der Schweizer Nationalbank bis 2012
Seine Sicht der Dinge ist auch deshalb so interessant, weil er nun sehr viel offener sprechen kann als in seiner alten Position. Er hat die Schweiz durch die Finanzkrise 2008 gesteuert und war für die Einführung des Mindestkurses von 1,2 Franken zum Euro verantwortlich.
Hier einige seiner Aussagen:
- Ohne Eingreifen der Zentralbanken wäre die Finanzkrise um ein Vielfaches schlimmer ausgefallen. Ich vermute, dass kaum eine Bank überlebt hätte und auch die Sicherheit von Sparbüchern gefährdet gewesen wäre. Er meinte, dass die Menschen unendlich dankbar wären, wenn sie wüssten was ohne die Aktionen der Notenbanken passieren hätte können.
- In den USA gingen zwar rund 140 kleine Banken in Konkurs, alle große Banken wurden aber zwangsweise rekapitalisiert und stehen derzeit schon wieder auf sehr starken Beinen. In Europa trauten sich die Politiker nicht, solche Mengen an Geld bereit zu stellen. Aus diesem Grund ist der Bankensektor immer noch nicht saniert und kann nicht ausreichend Kredite an die Unternehmen vergeben. Das bremse die wirtschaftliche Entwicklung massiv.
- Spannendes zum Thema Reformen: Das spanische Arbeitsrecht stammte aus der Zeit der Diktatur Frankos (der es von Mussolini übernommen hatte). Es war für die hohe Arbeitslosigkeit verantwortlich, weil es unmöglich war, jemanden zu entlassen. Die Folge davon: es wurde gleich gar niemand eingestellt. Nur weil Spanien durch die Finanzkrise zahlungsunfähig wurde und die EU-Partner und der Internationale Währungsfonds es verlangten, kam es zu einer Reform. Seither sinkt die Arbeitslosigkeit ohne Unterbrechung. Wie schon Albert Einstein sagte: “Es ist die Krise selbst, die den Fortschritt bringt”
- Dr. Hildebrand warnt davor, Vergangenheitsentwicklungen in die Zukunft zu extrapolieren. Nur weil es mehrere Jahre mit wenig Wachstum und Nullzinsen gegeben hat, müsste das nicht immer so weitergehen. Speziell in den USA sieht er 2017/2018 höheres Wachstum, höhere Inflation und auch höhere Zinsen. Auf meine Frage, wie es in Europa möglich sein soll, bei einer stagnierenden Bevölkerung Wachstum zu erzeugen, meinte er dass eine stärkere Einbeziehung von Älteren und Frauen die Erwerbsbevölkerung steigern könnte. Reformen und Investitionen in Bildung verstärkten diesen Effekt. Flüchtlinge würden dabei auf viele Jahre nicht helfen.
- Schrecklich schaut es aus seiner Sicht in Frankreich aus, das demografisch eigentlich die beste Situation hätte (höchste Geburtenrate). Hier war die Krise nicht schlimm genug, um im Sinne Einsteins zu sinnvollen Reformen zu führen. Seit 10 Jahren wurden keine neuen Arbeitsplätze mehr geschaffen, weil der überbordende Staatssektor die Industrie fast ausgelöscht hat. Und mehr Staatsbedienstete führen nicht zu mehr Wachstum oder mehr Wohlstand, sondern nur zu mehr Schulden.
- Zum Schluss noch ein erfreulicher Punkt: Dr. Hildebrand sieht die Konjunktur in Europa auf dem richtigen Weg und erkennt selbst in Italien und Frankreich einen Anstieg der Reformbereitschaft.
Wenn Schulden zu Luft werden
Michael Scherling am 21. April 2016
Ich hasse Verschwörungstheorien. 9 von 10 erweisen sich als falsch und eine wird durch reinen Zufall wahr.
Heute möchte ich aber selber eine Prognose in die Welt setzen, die von Vielen als Verschwörungstheorie abgetan werden wird.
Bekannt ist ja, dass viele Staaten den “Point of no return” bei der Schuldentragfähigkeit überschritten haben. Kein Ökonom weltweit kann erklären, wie die Staatsschulden jemals zurückgezahlt werden sollen. Die alternden und teilweise schrumpfenden Bevölkerungen von Ländern wie Japan, Italien oder Griechenland können niemals genug Wirtschaftswachstum generieren, um die riesigen Altlasten zu tilgen.
Der Versuch der Zentralbanken, künstlich Inflation zu schaffen und damit die Schuldenlast zu verringern, wird zwar langfristig zum Erfolg führen (ich werde mich bemühen, Sie rechtzeitig vor kommender Geldentwertung zu warnen!), aber auf kurze Sicht hat das überhaupt nicht funktioniert.
Nun gibt es die ersten Gerüchte, wie man sich sehr elegant von Altlasten zu befreien gedenkt. Vorreiter ist wie immer Japan. Relativ unbemerkt von der Öffentlichkeit kauft die Zentralbank gleich viele Staatsanleihen (=Staatsschulden) auf wie die Regierung jährlich neue Anleihen ausgibt. Die Zentralbank finanziert also jetzt bereits die Ausgaben des japanischen Staates, die nicht durch Einnahmen gedeckt sind (5,5% der Wirtschaftsleistung jährlich).
Der nächste Schritt ist aus meiner Sicht vorprogrammiert: Schon jetzt ist rund ein Drittel der japanischen Staatsschulden in Händen der Zentralbank. Möglicherweise wird dieser Teil bereits heuer für wertlos erklärt (oder umgewandelt in Titel mit ewiger Laufzeit und Zinssatz Null). Ein eleganter Weg, sich von alten Verbindlichkeiten zu trennen.
Die Europäische Zentralbank folgt diesem Vorbild. Es ist also nicht abwegig, dass es auch in Europa zu einer solchen Lösung kommen wird.
Der kleine Nachteil dabei: niemand kann Ihnen sagen, welche Folgen dieser Schritt haben wird. Eine Vertrauenskrise in unser Geldsystem ist nicht auszuschließen.
Eine klare Empfehlung kann ich Ihnen aber geben: investieren Sie in Realwerte, also Immobilien, Aktien und Gold. Leider sind Wohnimmobilien nach dem 50%-Anstieg in Österreich schon zu teuer, andere Segmente wirken aber noch interessant.
Bezüglich Gold möchte ich auf meinen Jänner-Artikel verweisen http://www.deroekonom.at/2016/01/wird-gold-im-jahr-2016-glaenzen/. Die angekündigte Preissteigerung ist bereits eingetreten.
Für 90% der Österreicher sind Aktien nur Spekulationsobjekte. Diese Sicht trifft nur zu, wenn man einzelne Titel kauft. Wer aber weltweit breit gestreut investiert, wird auch in den nächsten 10 Jahren gute Erträge erwirtschaften. Denn: so lange es Menschen gibt, gibt es auch Unternehmen. Aktienfonds schwanken zwar, sind langfristig aber sicherer als Sparbücher und Staatsanleihen. Das wird Ihnen die Generation der 1930er Jahre bestätigen.
Fazit: spannende Zeit kommen auf uns zu. Bereiten Sie sich vor!
Wieder einmal Panik
Michael Scherling am 11. Februar 2016
Vor 10 Monaten stand der Index der deutschen Aktien bei 12.000 Punkten, heute bei 8.800, also ein Verlust von 27%. In Brasilien, China brachen die Börsen noch viel mehr ein und sogar einige Anleihesegmente wiesen zweistellige Minuserträge auf.
Ist es angebracht, panisch zu werden?
Besonders spannend finde ich, dass sämtliche “Begründungen” für diese Entwicklungen auch bei den Börse-Höchstständen vor 10 Monaten schon bekannt waren:
- China: seit 2 Jahren weiß man, dass die chinesische Wirtschaft von Industrie auf Dienstleistungen umgebaut wird. Dass nun einige Produzenten leiden, weniger exportiert wird und die Währung fällt, ist ein ganz normaler Prozess. Ein Wachstum von immer noch 4 – 5% ist das Vielfache des US- und Europa-Wachstums. Zusätzlich profitieren gerade China und unser Kontinent von tiefen Rohstoffpreisen.
- Faule Kredite: 13% notleidende Kredite in Italien, 10% in China und strauchelnde Banken sind kein schöner Zustand, aber auch das ist keineswegs neu. Die Zentralbanken kennen diese Faktoren genau, die Verhandlungen für eine Lösung laufen seit vielen Monaten.
- Wachstumseinbruch in den USA: Nordamerika hat seit 2009 sehr vom Schieferölboom profitiert. Ein guter Teil des Wirtschaftswachstums hatte hier seinen Ursprung. Bei Ölpreisen wie derzeit dreht sich die Entwicklung um. Verstärkt wird sie durch den schon sehr langen Konjunkturaufschwung, der nun zu Ende ist. Zusätzlich leiden die USA unter dem starken Dollar, der Exporte erschwert. Alles in allem aber ein normaler Konjunkturzyklus und keineswegs eine Überraschung.
Wie üblich verstärken die Medien die Wahrnehmung negativer Ereignisse. Auch Banken übertreffen sich in Negativprognosen. Wie sinnlos diese sind, sieht man am Beispiel Goldman Sachs: die bekannteste US-Investmentbank musste gerade 5 ihrer 6 Prognosen für 2016 zurücknehmen (Anfang Februar!). Immer noch rechnet das Institut mit 4 US-Zinssteigerungen in diesem Jahr. Auch diese Prognose wird sich als falsch erweisen. Bei einem zu erwartenden Konjunkturrückgang die Zinsen zu erhöhen, wäre kontraproduktiv und wird daher nicht passieren.
Weiterhin leiden werden wohl Rohstoffproduzenten wie Brasilien oder Ölländer wie Saudi Arabien, was durchaus zu politisch unruhigen Zeiten führen kann. China wird nie wieder so hohe Wachstumsraten bei den Rohstoff-Importen aufweisen wie in der Vergangenheit.
Wann geht es wieder aufwärts?
Keine Ahnung, Sie wissen ja: an den Börsen machen langfristig die Strategen die Kurse, kurzfristig aber die Psychopathen. Wohin diese die Werte treiben, weiß ich nicht (ich bin ja keiner).
Auslöser für einen Aufwärtsbewegung wäre aber z.B. eine Verkündung des Verzichts auf Zinserhöhungen in den USA oder ein weiter anhaltender europäischer Konjunkturaufschwung (ja, den gibt es!).
Fazit: Menschen agieren nicht rational und werden es auch nie tun. Gier und Panik wechseln einander ab. Kluge Investoren können davon profitieren!
Wie geht es Europa?
Michael Scherling am 2. Juni 2015
Abseits von den üblichen Nachrichten aus den Medien, die sich umso besser verkaufen je extremere Meldungen sie veröffentlichen, möchte ich ein paar Facts zur ökonomischen Situation in Europa zusammenfassen:
+ seit 2013 sinken die Arbeitslosenraten in Spanien und Griechenland
+ Das Konjunkturklima in Spanien ist so gut wie seit 2007 nicht mehr
+ Die KFZ-Neuzulassungen steigen europaweit seit 2 Jahren kontinuierlich
+ Die Kreditvergabestandards der Banken werden lockerer (erstmals seit 2007!)
+ Die Einzelhandelsumsätze steigen so stark wie seit 10 Jahren nicht mehr
+ Immobilien- und Unternehmenskredite werden wieder verstärkt nachgefragt
+ Es gibt kaum Inflation, aber auch Deflation ist nicht in Sicht
+ Das Verbrauchervertrauen ist auf 10-Jahres-Höchststand
Selbstverständlich gibt es noch genügend Baustellen im Euroraum, aber gerade 2015 schaut aus heutiger Sicht ökonomisch erfreulich aus. Selbst Ereignisse wie ein möglicher Griechenland-Austritt sollten nur kurzfristige Wellen schlagen. Genießen wir also die Erholung — in den nächsten Jahren kommen genügend Herausforderungen auf uns zu.
Fazit: Die erfreuliche Kombination von tiefem Ölpreis, niedrigem Euro und Nullzinspolitik der Zentralbank zeigt Wirkung. Hoffen wir, dass auch 2016 etwas davon übrigbleibt.
Ist die Europäische Zentralbank verrückt geworden?
Michael Scherling am 25. Januar 2015
Die südländischen Vertreter in der Europäischen Zentralbank mit einem Italiener an der Spitze haben sich also durchgesetzt: nun kauft die EZB auch Staatsanleihen.
Was will sie damit erreichen?
1. Höhere Inflation
2. Mehr Exporte durch einen niedrigeren Euro
3. Wohlstandseffekte durch höhere Wertpapier- und Immobilienpreise
4. Mehr Kreditvergabe durch die Banken soll die Wirtschaft ankurbeln
zu 1. Zum ersten Punkt ist die große Frage ob höhere Inflation wünschenswert ist. Grundsätzlich nein, denn sie führt zu einer schleichenden Enteignung von Sparern. Die EZB argumentiert, dass einer gefährlichen Deflation vorab entgegengewirkt werden muss. Die aktuell sinkenden Preise resultieren aber vor allem aus niedrigeren Ölpreisen und sind daher überhaupt nicht gefährlich. Auch wird die EZB nicht erfolgreich sein: solange die Ölnotierungen nicht steigen, wird auch die Inflation kaum steigen.
zu 2. 2014 sank der Euro wegen besserer wirtschaftlicher Aussichten und höherer Zinsen in den USA. Dadurch werden europäische Exporteure am Weltmarkt konkurrenzfähiger, was zusätzliches Wachstum bedeutet. Dieser Effekt ist aber auch ohne die Staatsanleihekäufe stark genug.
zu 3. Wegen der dauerhaft niedrigen Zinsen steigt der Wert von Wertpapieren und Immobilien. Durch die aktuelle EZB-Aktion haben Banken mehr Geld zur Verfügung, was zu weiter steigenden Preisen in den beiden Anlageklassen führen sollte. Fraglich ist, ob es nicht zu Übertreibungen und Blasen kommt. Zusätzlich werden eher die Vermögenden gefördert, nicht aber breite Bevölkerungsschichten, die für einen nachhaltigen Aufschwung so wichtig wären.
zu 4. Die Banken haben schon bisher ausreichend Geld von der Zentralbank bekommen, wegen der hohen Altschulden und der schlechten Aussichten gibt es aber kaum Firmen und Privatleute, die Kredite haben wollen. Regulatorische Vorschriften erschweren den Banken zusätzlich die Kreditvergabe an Klein- und Mittelbetriebe, die für einen Aufschwung extrem wichtig wären. In Summe wird also nicht viel erreicht werden.
Dennoch sind die Aussichten für Europa für 2015 positiv: Seit 1970 erholte sich die Weltkonjunktur jedes Mal deutlich, wenn der Ölpreis um die Hälfte fiel und mindestens 6 Monate niedrig blieb. Durch den tiefen Eurokurs werden die Exportländer Europas zusätzlich profitieren. Das hat aber kaum etwas mit den Aktionen der Europäischen Zentralbank zu tun.
Fazit: Hoffen wir, dass die Staatsanleihekäufe der EZB keinen Schaden anrichten. Besonderer Nutzen ist nicht zu erwarten.
Ist die Krise vorbei?
Michael Scherling am 17. Juni 2014
Hier gleich die überraschende Antwort:
JA!
Finanzkrise und Eurokrise sind in ihren akuten Ausprägungen vorbei. Hier ein paar Beispiele und Gründe für meine Einschätzung:
+ In Portugal sinkt die Arbeitslosigkeit
+ In England sind die Immobilienpreise über dem alten Rekordstand von 2007
+ Die Banken in den USA sind saniert
+ Spanien hat große Reformen umgesetzt
+ Mehrere Börsen sind auf Allzeithoch (USA, Deutschland, …)
+ Die Zinsen für die Staatsschulden der Euro-Südländer sind tiefer als die der USA und auch niedriger als vor der Finanzkrise
+ Die Europäische Zentralbank garantiert den Euro-Erhalt und hat durch das Geld-Monopol auch für viele Jahre die Möglichkeit dazu
Ist also alles in Ordnung? Derzeit scheint es so, aber in einigen Jahren werden folgende Entwicklungen Auslöser neuer Turbulenzen sein:
- Die Staatsschulden sind in vielen Ländern auf einem Niveau, auf dem die Rückzahlbarkeit angezweifelt werden muss. Das alleine führt zu keiner Krise in den nächsten 5 Jahren. Nur in Japan ist mit 250% Staatsverschuldung eine Schuldenstreichung wahrscheinlich.
- Frankreich ist reformunfähig und wird von Politikern und Gewerkschaftern an die Wand gefahren. Falls die durch die Europäische Zentralbank erkaufte Zeit auch in den nächsten 5 – 10 Jahren nicht für Systemverbesserungen genutzt wird, kann der Euro auf Dauer nicht weiterbestehen.
- Ein zweiter Schuldenschnitt in Griechenland ist unerlässlich. Ich glaube allerdings nicht, dass das zu einer Riesen-Krise führt. Bereits erwartete Katastrophen bleiben meistens aus oder haben kaum Auswirkungen.
- Viele europäische Banken sind Zombies. Ohne Unterstützung durch die Staaten und die Zentralbank wären einige nicht überlebensfähig. Eine gesunde Marktbereinigung wurde verhindert, weil man Konkurse nicht tolerierte (im Gegensatz zu den USA). Dadurch erfüllen die Banken nicht ihren Zweck der Darlehensvergabe an Unternehmen. Die Zentralbank kann Bankzusammenbrüche allerdings sehr lange verhindern.
Die alte Probleme wie zu wenig Eigenkapital, Interessenskonflikte und falsche Anreize sowie Machtmissbrauch sind nicht beseitigt und können unser Finanzsystem gefährden.
Fazit: Speziell für Österreich und Deutschland stehen stabile Zeiten bevor. Die ökonomischen Daten sind brauchbar und die dauerhaft niedrigen Zinsen sorgen für Wachstumsimpulse. Aber klar ist: die nächste von außen kommende Krise ist nur aufgeschoben, aber sie kommt!
Das neue, alte Wirtschaftswunderland
Michael Scherling am 19. Juni 2013
Totgesagte leben länger, das gilt auch für ein Land, aus dem es in den letzten Jahren nicht viel Positives zu berichten gab: die USA.
Was ist nun in den letzten 5 Jahren geschehen, das so viel Lob begründet:
Banken: eigentlich hatte ja eine US-Bank die Finanzkrise ausgelöst und zahlreiche Pleiten kleinerer Institute folgten. Aber: die Amerikaner haben schnell und richtig gehandelt, mit Kapitalhilfen Schlimmeres verhindert und einen Entschuldungsprozess ermöglicht. Seit 2012 kann die Bankenlandschaft wieder als gesundet betrachtet werden. Ganz im Gegensatz zu Europa, wo weiter riesige Zombiebanken von Politikern durchgefüttert werden und eine Marktbereinigung verhindert wird.
Budgetdefizit: viele warnten vor dem “Fiscal Cliff”, den automatischen Ausgabenkürzungen, die tatsächlich in Kraft getreten sind, weil sich die beiden Großparteien nicht einigen konnten. Tatsächlich verringert sich dadurch das Budgetdefizit, ohne zu einem Wirtschaftseinbruch geführt zu haben. Eine fast ideale Situation also.
Immobilienpreise: nach einem starken Preisverfall kann man inzwischen davon sprechen, dass der Tiefpunkt durchschritten ist. Die Preise haben nachhaltig zu steigen begonnen.
Haushaltsverschuldung: die US-Konsumenten konnten ja durch ihren Konsum die Wirtschaft nicht mehr unterstützen, weil die Überschuldung extrem war. Immer noch ist das Kreditniveau hoch, aber ein deutlicher Rückgang ist zu bemerken.
Zentralbankpolitik: ja, noch wird viel Geld bereitgestellt, um die Zinsen tief zu halten, aber inzwischen haben auch die allerletzten “Experten” erkannt, dass Schuldenkrisen nicht zu Inflation führen. Das viele Notenbankgeld ändert daran, wie in diesem Blog mehrfach beschrieben, nichts.
Re-Industrialisierung: ein großes Problem bis 2008 war, dass kaum noch Sinnvolles hergestellt wurde. Die meisten Produkte importierte man aus China und Europa. Nun hat eine Gegenbewegung eingesetzt: Während in vielen Ländern (v.a. Asiens) die Löhne stiegen, blieben die Lohnkosten in den Staaten konstant, wodurch es für die Unternehmen wieder leistbarer wurde, im Heimatland zu produzieren.
Noch ein stärkerer Hebel für die Rückkehr des produzierenden Gewerbes ist aber der Rohstoffboom. Unbemerkt von der Öffentlichkeit wurden seit 2008 riesige Öl- und Gasvorkommen im Schiefergestein entdeckt. Die Gaspreise sind bereits um 70% gesunken und die USA werden ihren Bedarf an Energie in den nächsten Jahren selbst decken können.
Wegen der niedrigen Energiekosten strömen aus aller Welt Firmen in die USA, so auch die österreichische VOEST, die um 500 Millionen Euro ein Werk errichtet.
Rund 2 Millionen Arbeitsplätze entstehen, wodurch die Arbeitslosigkeit reduziert und wegen der höheren Steuereinnahmen das Budgetdefizit weiter gesenkt wird.
Demographie: Japan steckt ausweglos in der Falle, weil die Bevölkerung schrumpft. Dadurch ist das Schuldenniveau untragbar. In den USA ist das anders: die Einwohnerzahl steigt kontinuierlich, mehr Menschen konsumieren mehr, zahlen mehr Steuern und wollen Immobilien kaufen.
Fazit: die USA sind in der Bewältigung der Finanzkrise sehr weit vorangekommen und haben wieder gute Voraussetzungen für die nächsten 10 – 15 Jahre.